Biedermann und die Brandstifter
Ein Lehrstück ohne Lehre · Schauspiel von Max FrischNicht mal eine Zigarette könne man sich anzünden, ohne an die Feuersbrünste zu denken, die seine Heimatstadt heimsuchen, schimpft Gottlieb Biedermann beim gemütlichen Zeitunglesen im trauten Heim. Der wohlhabende Haarwasserfabrikant, dessen Reichtum auf Versprechen über die angeblich haarwuchsfördernde Kraft seiner Tinkturen beruht, kennt kein Pardon: Aufhängen sollte man diese Brandstifter, verkündet Biedermann ein ums andere Mal. Schwarz auf weiß kann er lesen, dass die Zündler immer die gleiche Methode benutzen. Sie nisten sich als harmlose Hausierer auf dem Dachboden unbescholtener Bürger ein, und schon steht am nächsten Tag das Haus in Flammen.
Da klingelt es an der Tür, und Josef Schmitz, ein arbeitsloser Ringer, möchte ihn sprechen. Ehe sich der Hausherr versieht, ist Schmitz in seinem Haus und bittet um Essen und ein Obdach. Denn Biedermann, das merke man sofort, so sagt er, sei ein guter Mensch. Biedermann lässt sich einwickeln, obwohl er zugibt, dass ihm unbehaglich sei, denn man vermute hinter jedem Hausierer gleich einen Brandstifter. Doch gerade jetzt fallen Schmitz’ geschickte Appelle an Biedermanns Nächstenliebe auf fruchtbaren Boden, hat der Fabrikant doch einen seiner engsten Mitarbeiter und Mitwisser um seine Machenschaften mit dem wirkungslosen Haarwasser entlassen – obwohl der eine kranke Frau und drei Kinder hat – und ihn damit in die persönliche Katastrophe gestürzt. Aber er ist kein Unmensch, versichert er Schmitz. Und schon hat der Hausierer seinen Schlafplatz unterm Dach sicher. Ohne groß zu fragen, bringt Schmitz auch noch seinen Freund Eisenring auf dem Dachboden der Villa unter. Am nächsten Morgen muss Biedermann feststellen, dass seine Gäste Benzinfässer, Zündschnüre und alle möglichen Brandutensilien auf dem Dachboden horten. Irgendwann kann er ihre Absichten nicht mehr übersehen. Doch statt ihnen Einhalt zu gebieten oder sich zu wehren, versucht er sich anzubiedern und lädt sie zum Essen ein, weil er glaubt, so vor ihren Machenschaften sicher zu sein. Ein folgenschwerer Irrtum.
Frisch schuf 1957/58 mit seinem »Lehrstück ohne Lehre« ein Modell, das von einer faszinierenden Zeitlosigkeit und Allgemeingültigkeit ist. Ob nun blind aus Feigheit, Trägheit, Dummheit oder tatenlos aus falsch verstandener Toleranz und Höflichkeit – die Biedermänner spielen durch Abducken und Wegschauen eine ebenso fatale Rolle in den Tragödien der Geschichte wie die gesellschaftlichen Brandstifter. Gerade weil das Ende absehbar ist, kann sich die irrwitzige Parabel so virtuos und tragikomisch entfalten. Und sitzen nicht auch jetzt schon wieder die Biedermänner mit den Brandstiftern, die sich nicht einmal die Mühe machen, ihre Absichten zu verschleiern, zusammen an einem Tisch?
Arnim Bauer | Ludwigsburger Kreiszeitung | 09.05.22
Es gelingt ihm [Tobias Wellemeyer], mit Nils Brück einen Biedermann vorzustellen, der in seiner ganzen Jovialität, in seiner geradezu obszönen Servilität, seinem gespielten falschen Optimismus, seinen Anbiederungen auch seine andere Seite zeigt. Eine, in der er der knallharte Geschäftsmann mit zweifelhaften Methoden ist, der auch buchstäblich über Leichen geht, der bei aller dümmlichen Ignoranz eigentlich gewohnt ist, dass der Lauf seiner Welt nach seinen Wünschen geht.