Fabian – Der Gang vor die Hunde
von Erich Kästnerfür die Bühne bearbeitet von Gero Vierhuff
Berlin, Ende der 1920er-Jahre. Die Stadt ist wie im Fieber, voller Lust, Abenteuer, Chancen und Risiken. Alkohol fließt in Strömen, die Nächte werden durchtanzt, mit der Liebe lässt sich viel Geld verdienen, auf den Straßen liefern sich Links- und Rechtsextreme heftige Gefechte und das Heer der Arbeitslosen wird täglich größer. In diesen unsicheren Zeiten ist Dr. Jakob Fabian, ein Literaturwissenschaftler, froh, sein Geld als Reklametexter für eine Zigarettenfabrik zu verdienen, auch wenn die Arbeit wenig mit seinen eigentlichen Interessen zu tun hat. Er wohnt zur Untermiete bei einer Witwe, die sich sonst die Wohnung nicht mehr leisten könnte. Nachts lässt er sich mit seinem Freund Stephan Labude, ebenfalls Literaturwissenschaftler, der gerade an seiner Habilitation arbeitet, durch die Kneipen treiben. Die Frauen sind freizügig und suchen sich die Männer ganz nach ihren Wünschen aus. Jakob Fabian trinkt mit Journalisten um die Wette und lernt deren zynischen Blick auf die Welt kennen. Nachrichten werden aufgebauscht und skandalisiert, damit sich das Blatt gut verkauft. Die Redakteure sind sich einig, dass die Republik auf tönernen Füßen steht. Ein Riss und alles stürze ein. Jakob Fabian sieht die Welt im Wartestand vor einem großen Zeitenbruch, und er glaubt nicht daran, dass die Vernünftigen ihn gestalten werden. Die Unsicherheit ist so groß, dass die Jugend kein Interesse daran hat, eine Familie zu gründen. Fabian verliebt sich in Cornelia von Battenberg, eine beim Film tätige Juristin. Mit ihr könnte er sich alles vorstellen. Da setzt ihn die Zigarettenfirma vor die Tür, obwohl er ihr bester Werbetexter ist. Einen neuen Job zu finden, wird nicht leicht. Sein weniges Geld schmilzt dahin und Fabian gerät immer mehr auf Schlingerkurs.
»Fabian« gilt als wichtiger politischer Roman in Deutschland vor 1945. Entstanden 1930/31, fängt Erich Kästner darin die Dekadenz und die immer instabiler werdenden ökonomischen und sozialen Verhältnisse, die Schwächung der demokratischen Mitte und das Erstarken der politischen Ränder zum Ende der Weimarer Republik ein. Die Parallelen zu unserer Zeit sind unübersehbar. 1933 erklärten die Nationalsozialisten diesen Roman für entartet und verbrannten Kästners Bücher zusammen mit den Werken vieler anderer deutscher Autoren.
Ursprünglich sollte der Roman den Untertitel »Der Gang vor die Hunde« tragen. Dieser wurde jedoch in der ersten Variante, samt einigen deftigen Kapiteln, von seinem Erst-Verleger abgelehnt und erschien erst 2013 im Original. Stattdessen erschien eine zensierte Version des Buches mit dem Untertitel »Geschichte eines Moralisten«. Kästner schrieb in einem Nachwort anlässlich einer Neuauflage 1956, welches Ziel der Roman verfolgte: »Er wollte vor dem Abgrund warnen, dem sich Deutschland und damit Europa näherten! Er wollte mit […] allen Mitteln in letzter Minute Gehör und Besinnung erzwingen.« Er sah die Sturmzeichen der kommenden Krise nur allzu deutlich und schilderte sie mit dem feinen, intelligenten Humor der Satire. »Der Moralist pflegt seiner Epoche keinen Spiegel, sondern einen Zerrspiegel vorzuhalten.«
Sie möchten mehr über die Inszenierung erfahren? Tiefer in die Materie und Hintergründe eintauchen? Dann hören Sie doch in unsere 81. Podcastfolge hinein!
Claudia Ihlefeld | Heilbronner Stimme | 20.01.2025
Bis auf Felix Lydike als Fabian und Tobias Loth als dessen Freund Labude spielen alle verschiedenste Rollen, switchen mit Nonchalance, lassen ein Panoptikum an Typen lebendig werden in ihren hitzig emotionalen Temperaturen. Schmiedleitner zeigt den Tanz auf dem Vulkan als Revue auf der Bühne von Stefan Brandtmayr. [...] Musiker Johannes Zimmermann am Klavier begleitet nicht nur, seine Arrangements, die Musik und Songs, die das Ensemble famos interpretiert bis zum tieftraurigen „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück“, sind autonomer Bestandteil mit Scharnierfunktion. Felix Lydike gibt Fabian wundervoll durchlässig, empathisch. Und standhaft, mit neugierigen, arglosen, auch skeptischen Augen blickt er auf die Mitmenschen. [...] Lydikes Fabian lässt sich weiter treiben, einer, der das Leben annimmt, auch als er arbeitslos wird, sich verliebt und Cornelia (Romy Klötzel) bald verliert an einen Filmproduzenten, der ihr eine Karriere als Schauspielerin verspricht. [...] In ihren Typenzeichnungen überzeugen alle: Juliane Schwabe als Nymphomanin Irene Moll und missgünstige Witwe Hohlfeld, Oliver Firit als Direktor Breitkopf und Labudes Vater, Tobias D. Weber als Herr Moll, Erfinder und Prostituierte, Sabine Unger als Fabians Mutter und Nachtclubbetreiberin, Gabriel Kemmether als Nazi und als Denunziant Weckherlin. So wie Kästner „kein Photographiealbum, sondern eine Satire“ im Sinn hatte, hält Schmiedleitner uns den Zerrspiegel vor, der abbildet, was kommt, wenn wir uns weiter zu Tode amüsieren.