Verschlusssache (UA)
Von dura & kroesingerUraufführung
Am 25. April 2007 wurde auf der Theresienwiese in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen, ihr Kollege Martin Arnold durch einen Kopfschuss lebensgefährlich verletzt. Was die Täter und den Tathergang angeht, gibt es bis heute große Unklarheiten. Kam es schon in der von der Heilbronner Polizeidirektion gegründeten Sonderkommission »Parkplatz« zu gravierenden Ermittlungspannen, wurde die Tat nach der Enttarnung des NSU am 4. November 2011 durch Indizienfunde vollständig den beiden Mitgliedern der rechten Terrorzelle Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zugeschrieben. Andere relevante Ermittlungsergebnisse der SOKO »Parkplatz« vor dem November 2011, etwa zu weiteren Tatbeteiligten, wurden zugunsten der Präsentation eines öffentlichkeitswirksamen Erfolges offenbar absichtsvoll in den Hintergrund gedrängt. Trotz mehrerer Untersuchungsausschüsse, die sich sowohl im Stuttgarter Landtag wie im Bundestag mit dem Verbrechen und dem Versagen der staatlichen Ermittlungsorgane befasst haben, bleibt die Tat, die vielen Sachverständigen als Schlüssel zur Aufklärung des NSU-Komplexes gilt, weiterhin ein Rätsel.
Immer wieder in den Blick geraten ist in der juristischen und medialen Auseinandersetzung mit dem Kiesewetter-Mord die Frage nach dem Tatort selbst. Warum gerade Heilbronn? Welchen Bezug gibt es zwischen der politisch unscheinbaren baden-württembergischen Industrie- und Weinstadt am Neckar und den rechtsradikalen NSU-Terroristen aus Thüringen? Wie hat die Stadt auf den Mord reagiert? Und welche Spuren hat er dort hinterlassen?
Im Rahmen des bundesweiten Theaterprojekts »Kein Schlussstrich!« widmet sich das dokumentarische Recherche-Projekt »Verschlusssache« von dura & kroesinger ganz dem lokalen Ereignis des Kiesewetter-Mordes und dessen Folgen. Es geht der Frage nach, was mit dem Mord und den Reaktionen darauf in der Stadt sichtbar geworden ist – und welche Rückschlüsse sich daraus auf den Zustand unserer zivilen Gesellschaft ziehen lassen. Ausgehend von dem konkreten Ereignis werden Linien gezogen: Zu seinen Ursachen in der Vergangenheit und seinen möglichen Konsequenzen für unsere Zukunft. Dura & kroesinger entwerfen so ein Stück spezifisch für die Stadt Heilbronn, um die Verhältnisse unter der theatralen Lupe schärfer erkennbar werden zu lassen.
Sie möchten mehr über die Entsstehung des Stücks wissen, dann hören Sie in Folge 16 unseres Podcasts.
Sabine Willkop | Kunscht! SWR Fernsehen | 21.10.2021
Verschlusssache ist ein wichtiges Theaterprojekt.
Tobias Ignée | SWR2 | 21.10.2021
Die beiden [dura&kroesinger] haben die Bühne in einen Gerichtsaal verwandelt, in dem die Raumachsen aus dem rechten Winkel geraten sind. Aus Schlitzen in Wänden quellen geschredderte Akten hervor und die Schauspieler des Heilbronner Ensembles bewegen sich auf schiefen Ebenen. Sinnbild für die Ermittlungspannen, die Gerüchte, die ins Kraut schießen und die Stadt, die aus dem Lot geraten ist.
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Dura und Kroesinger wollen allerdings Heilbronn nicht anklagen und an den Pranger stellen. Vielmehr geht es generell um den Umgang mit Rechtsterrorismus in unserer Gesellschaft. Da wollen sie zur Diskussion anregen und den Finger auf die Wunde legen.
Claudia Ihlefeld | Heilbronner Stimme | 23.10.2021
Collagiert zu einem 90-Minuten-Dokumentartheater, gerät die Uraufführung von „Verschlusssache“ zu einem Blick zurück, der sich nicht mit Erinnerungen zufrieden gibt, sondern unbequeme Fragen stellt. …
Auf der reduzierten Bühne (Sigi Colpe) passieren die Ungeheuerlichkeiten des Falls Michèle Kiesewetter Revue, gehen verschiedene Erzählstränge ineinander über und geben Lucas Janson, Gabriel Kemmether, Zlatko Maltar, Lisa Schwarzer, Sabine Unger und Tobias D.Weber der Fülle an Aussagen und Erinnerungen eine Stimme. …
Warum die Akten zum Fall Kiesewetter noch immer als Verschlusssache gelten mit geschwärzten Stellen, ist eine der vielen Leerstellen, in die der Theaterabend den Finger legt. ... Anhaltender Applaus vom Premierenpublikum.