Blind

von Lot Vekemans
Deutsch von Eva M. Pieper und Alexandra Schmiedebach

Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Richard, ein ehemaliger Bauingenieur, und Helen, seine Tochter, die als Anwältin für wenig Geld Sozialfälle in Rechtsstreitigkeiten vertritt. Richard hat sich vor den Herausforderungen der immer diverser werdenden Gesellschaft, deren Entwicklung er ablehnt, in eine teure, bewachte Wohnanlage zurückgezogen. Helen versucht ein Miteinander aller Kulturen und sozialen Schichten offensiv mitzugestalten. Richard hält ihren Idealismus für gefährlich und kann es nicht akzeptieren, dass seine Tochter einen Schwarzen geheiratet hat. Helen missbilligt den Egoismus und die Überheblichkeit ihres Vaters. Er steht für alles, was sie ablehnt und umgekehrt. Beide haben wenig Kontakt. Doch nun weiß Richard nicht mehr weiter. Er droht zu erblinden und bittet Helen um Hilfe. Und so nach und nach entdecken sie ihr gemeinsames, sehr starkes Fundament wieder, das sie in früheren Jahren immer getragen hat. Kann man jemanden lieben, der sich politisch auf der diametral entgegengesetzten Seite befindet und dessen Ideen man nicht teilt? Ein hochaktuelles Stück, das mit großer Warmherzigkeit von einem Vater-Tochter-Konflikt erzählt, der stellvertretend für die aufgeheizten Debatten in unserer Gesellschaft steht. Gleichzeitig blickt es tief in die Seele zweier Menschen, die trotz ihrer Differenzen nach dem Verbindenden suchen

Ranjo Doering | Heilbronner Stimme | 13.01.2025
»Blind« ist ein klug konstruiertes Konversationsstück, ein Kammerspiel und Familiendrama, das zeigt, wie elastisch die Bindung zwischen Eltern und Kind ist. Angelegt auf einer reduzierten Bühne (Ausstattung: Karin von Kries) mit Sessel, Schränkchen und einem Teppich, findet Regisseur Kay Neumann eine gute Mischung aus Dialog, hitzigen Wortgefechten – aber auch Sprachlosigkeit. Die bietet sowohl den beiden Protagonisten als auch dem Publikum die Chance, durchzuschnaufen und das Gesagte zu verarbeiten. Und es gibt schöne, fast schon intime Momente. Etwa wenn die Tochter ihren älteren Vater sorgfältig mit einem Handtuch säubert – ein zartes und bewegendes Zeichen der Fürsorge. Sarah Finkel und Stefan Eichberg harmonieren prächtig als Vater und Tochter, die in Hass-Liebe auf der ständigen Suche nach Anknüpfungspunkten sind. Eichberg gibt Richard als selbstsicheren Patriarchen, an dessen Weltbild des sozialen Darwinismus nur schwer zu rütteln scheint, Finkel die zugleich selbstbewusste wie verletzliche Helen, die am Ideal einer Gesellschaft der Chancengleichheit hängt.