Romulus der Große

Eine ungeschichtliche historische Komödie in vier Akten von Friedrich Dürrenmatt

Das römische Weltreich bricht zusammen, doch das scheint Kaiser Romulus kaum zu interessieren. Trotz des rasanten Vordringens der germanischen Truppen unter dem Feldherrn Odokar hat er die Ruhe weg und beabsichtigt keinesfalls, sein Frühstück von schlechten Nachrichten stören zu lassen. Viel wichtiger ist ihm, dass seine Hühner, die allesamt die Namen großer römischer Kaiser oder Philosophen tragen, gut Eier legen. Denn der Zucht des Federviehs gehört seine ganze Leidenschaft. Seit Romulus vor 20 Jahren die Herrschaft über das weströmische Reich übernommen hat, kümmert er sich nur noch um die gackernden Vögel. Sein Palast ist so heruntergekommen wie das ganze Land. Gerade ist sein Finanzminister mit der Staatsschatulle geflohen, sodass er seine Angestellten mit einem der letzten Blätter aus seinem goldenen Lorbeerkranz bezahlen muss. Romulus’ Frau Julia und der noch verbliebene Hofstaat sind in großer Sorge angesichts der weltumstürzenden Meldungen und fordern den Kaiser auf, endlich etwas zu unternehmen. Aber Romulus denkt gar nicht daran. Er ist auch nicht bereit, das Angebot des schwerreichen Hosenfabrikanten Cäsar Rupf anzunehmen, der Millionen in die Rettung Roms hineinstecken würde, wenn er Romulus’ Tochter zur Frau bekäme und das Tragen von Hosen zur Bürgerpflicht erklärt würde.

Mit seiner Faulheit und seinem Desinteresse treibt der Kaiser seine Mitstreiter in die Verzweiflung. Was diese nicht ahnen, ist, dass Romulus mit seiner scheinbaren Lethargie in Wirklichkeit ein höheres Ziel verfolgt. Er arbeitet gezielt am Untergang des römischen Weltreiches, das es aus seiner Sicht nicht verdient hat, weiter zu bestehen, und er sieht sich selbst als Richter seines verkommenen Vaterlandes.

Friedrich Dürrenmatts Komödie spielt vom Morgen des 15. März bis zum Morgen des 16. März 476 und stellt Bezüge zum Untergang des Römischen Reiches im 5. Jahrhundert nach Christus her. Allerdings hat er sich nur sehr lose an die Historie angelehnt und diese für ein amüsantes und zugleich analytisch scharfes Denkmodell über den Zusammenbruch hochentwickelter Zivilisationen benutzt, die an ihrer Sattheit und Überheblichkeit, mit der sie die ganze Welt beglücken, zugrunde gehen. Zur Entstehungszeit 1949 lagen die Anspielungen auf Nationalismus und Krieg nahe. Bis 1980 hat Dürrenmatt diesen zeitlos aktuellen Text regelmäßig überarbeitet. Das Setting und die Figuren in »Romulus der Große« sind von absurder Komik. Gleichzeitig blitzt eine grotesk-scharfsinnige Analyse politischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge aus dieser Geschichte um den »kaiserlichen Hühnerzüchter« und als »Narren verkleideten Weltrichter «, wie Dürrenmatt ihn selbst nennt, hervor. Ein typischer Dürrenmatt eben!