Schwarze Schwäne (UA)
Schauspiel von Christina KetteringDie Mutter darf nicht mehr allein leben. Alt und verwirrt wie sie ist, wird sie zur Gefahr für sich selbst und ihre Umwelt. Ihre beiden Töchter überlegen, was zu tun ist. Die Ältere, alleinstehend und die Freiheiten des Singledaseins genießend, schlägt vor, die Mutter in ein Heim zu geben. Für die Jüngere, verheiratet, zwei Kinder und berufstätig, kommt das nicht in Frage. Warum nicht, fragt die Ältere: »Weil es gesellschaftlich verpönt ist?«
Die Jüngere holt die Pflegebedürftige zu sich, baut ihr Haus nach deren Bedürfnissen um, verschiebt eine lang geplante Reise und arbeitet nur noch in Teilzeit. Doch immer häufiger verliert sie die Geduld. Die ältere Schwester beobachtet, wie die jüngere an der permanenten Überforderung fast kaputt geht. Da bringt die Ältere eines Tages einen humanoiden Pflegeroboter ins Haus: Rosie Typ 3. Rosie ist ein Traum an Ausgeglichenheit, Zuverlässigkeit und guter Laune. Sie verfügt über ein Set an Handlungsmöglichkeiten und ist in der Lage, neue Informationen zu verarbeiten und daraus ihre Konsequenzen zu ziehen. Mittels einer kleinen Uhr ist sie mit der zu pflegenden Person verbunden. Außerdem ist sie mit der häuslichen Umgebung vernetzt und speichert alle Einflüsse, die schädlich für ihren Schützling sind. Aus den Daten zieht sie die Schlussfolgerungen für ihr Handeln. Seit Rosie da ist, sieht die Mutter gut aus und das Haus ist perfekt sauber. Aber der Roboter, so scheint es, übernimmt immer mehr das Kommando in der Familie …
»Schwarze Schwäne« von Christina Kettering ist das Gewinnerstück des ersten Autorenwettbewerbs »Science & Theatre« des Jahres 2019, den das Theater Heilbronn ausgelobt hatte und wird nun im Herbst 2021 im Science Dome der experimenta uraufgeführt.
Hilft uns die Künstliche Intelligenz oder ist sie eines Tages in der Lage, uns zu beherrschen? Das ist die zentrale Frage, die Christina Kettering aus einer für viele nachvollziehbaren Alltagssituation heraus entwickelt. Der Titel »Schwarze Schwäne« spielt mit einer in der Philosophie geläufigen Metapher für Dinge, die man sich nicht vorstellen kann, die aber plötzlich eintreten und Realität werden.
In Christina Ketterings Stück geht es aber auch um zwischenmenschliche Verantwortung, unvereinbare Lebensentwürfe und das Rollenverständnis von Frauen und Töchtern. »Die Autorin nimmt das Thema Künstliche Intelligenz zum Anlass, um über das Wesen des Menschseins und über ethisch-moralische Grundlagen unserer Gesellschaft nachzudenken«, hieß es in der Laudatio anlässlich der Preisverleihung.
Das Stück wurde im Rahmen von »Neustart Kultur« durch den Deutschen Literaturfonds im Programmbereich »100 neue Stücke für ein großes Publikum« gefördert.
Steffen Becker | nachtkritik.de | 18.11.2021
Beide Schwestern ringen mit ihren Leben. Ihre eigenen Probleme erscheinen ihnen umso größer, je effizienter eine Maschine das Problem mit ihrer Mutter löst. Inszenierung und überragende Schauspielerinnen machen das zu einem packenden Kammerspiel, in der die Technik nur eine Nebenrolle spielt.
Arnim Bauer | Ludwigsburger Kreiszeitung | 20.11.21
… weil Perrig mit seinen beiden Schauspielerinnen Regina Speiseder (Ältere) und Lisa Schwarzer (Jüngere) hervorragende Kräfte punktgenau und wirkungsvoll spielen lässt, so dass es absolut nachvollziehbar bleibt, dass das eigentliche Problem die Menschen mit all ihren Fehlern sind und eine Maschine, die wie »Rosie« dazu lernt, auch in der letzten Konsequenz die Moral derer umsetzt, die sie geschaffen haben, ein »Schwarzer Schwane« – ein altes Synonym für ein sehr unwahrscheinliches Ereignis – bleibt.
Brigitte Fritz-Kador | Rhein-Neckar-Zeitung | 23.11.21
In der Regie von Elias Perrig, stringent ästhetisch, agieren Regina Speiseder (die Ältere) und Lisa Schwarzer (die Jüngere) als Schwestern mit einer Intensität und Präsenz, die beeindruckend ist. Sie haben ja nur sich und ihren Text, um eineinhalb Stunden lang das Publikum durch den Abend zu tragen und es zu fesseln – und das gelingt.